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Postsäkularismus

Zur Diskussion eines umstrittenen Begriffs, Normative Orders 12

Erschienen am 15.04.2015, Auflage: 1/2015
41,00 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593500904
Sprache: Deutsch
Umfang: 362 S.
Format (T/L/B): 2.1 x 21.3 x 14 cm
Einband: Paperback

Beschreibung

Mit dem »Postsäkularismus« (Jürgen Habermas) verbindet sich die Frage, welche Rolle die Religion in freiheitlich-demokratischen, pluralistischen Gemeinwesen spielt. International renommierte Philosophen, Theologen und Sozialwissenschaftler erörtern, welche Bedeutung dem Begriff des »Postsäkularen« zukommt, ob das säkulare Zeitalter der Vergangenheit angehört, und wie es möglich ist, zwischen widerstreitenden religiösen, areligiösen und antireligiösen Überzeugungen eine gemeinsame politische Sprache zu finden. Mit Beiträgen von William Barbieri, James Bohman, José Casanova, Rainer Forst, Karl Gabriel, Friedrich Wilhelm Graf, Volkhard Krech, Hartmut Leppin, Detlef Pollack und Charles Taylor.

Autorenportrait

Matthias Lutz-Bachmann ist Professor für Philosophie sowie Vizepräsident an der Universität Frankfurt am Main.

Leseprobe

Vorwort Die hier versammelten Aufsätze gehen auf Veranstaltungen im Rahmen der Forschungen des Frankfurter Exzellenzcluster "Die Herausbildung normativer Ordnungen" zurück. An erster Stelle ist hier die im Sommersemester 2011 durchgeführte Ringvorlesung zum Thema "Postsäkularismus" zu nennen, für deren erfolgreiche Realisierung ich herzlich der Arbeitsgruppe um Hartmut Leppin, Karl-Heinz Kohl, Thomas M. Schmidt und Susanne Schröter danke. Seit 2011 schlossen sich im Forschungsschwerpunkt "Postsäkularismus/Postkolonialismus" vielfache Workshops und Arbeitstreffen an. Stellvertretend nenne ich an dieser Stelle die Arbeitsgruppen um Susanne Schröter sowie um Thomas M. Schmidt, Uchenna B. Okeja und Julien Winandy. Frau Ursula Johannsen danke ich herzlich für Satz und Redaktion dieses Bandes sowie dem Direktorium des Exzellenzclusters "Die Herausbildung normativer Ordnungen" für die Unterstützung bei der Publikation. Matthias Lutz-Bachmann 9. November 2014 Die Erschließung des Postsäkularen: Drei Bedeutungen von "säkular" und deren mögliche Transzendenz José Casanova Jürgen Habermas ist einer der einflussreichsten Theoretiker der säkularen Moderne. Seine Konzeption gesellschaftlicher Rationalisierung und der Rationalisierung der Lebenswelt, seine Lehre von der Versprachlichung des Sakralen sowie seine Theorie der Öffentlichkeit gründen alle in einer grundlegenden Darstellung der Säkularisierung, die einerseits mit den Vorgängen westlicher Modernisierung intern verbunden ist und andererseits als letztes und am weitesten entwickeltes Stadium innerhalb eines allgemeinen evolutionären Stufenprozesses menschlicher Entwicklung verstanden wird. So gesehen sind "säkular" und "modern" in seiner Theorie immer synonym und untrennbar miteinander verknüpft gewesen. Es ist deshalb bemerkenswert, dass Habermas nun einen neuen Diskurs zum Thema "postsäkulare" Gesellschaften angeregt hat, bemerkenswert insbesondere angesichts der Tatsache, dass er sich über Jahrzehnte hinweg dem neuen Diskurs der Postmoderne widersetzt hatte und auf dem Erfordernis bestand, das "unvollendete Projekt der Moderne" zu verteidigen und zu befördern. Da Habermas, wie man annehmen kann, noch nicht bereit ist, den Diskurs oder das Projekt der Moderne aufzugeben, muss man fragen, welchen Sinn mit einem modernen "Postsäkularen" verbunden werden kann. In welcher Weise ließe sich von modernen Individuen oder Gesellschaften sagen, sie seien "postsäkular"? Im Folgenden möchte ich so vorgehen, dass ich erstens drei verschiedene Bedeutungen des Terminus "säkular" untersuche, denen drei verschiedene Interpretationen des Postsäkularen entsprechen. Zweitens möchte ich erkunden, in welchem Maße Habermas' Konzeption der Säkularisierung noch zu sehr den speziell europäischen Mustern der Säkularisierung verbunden bleibt, er also möglicherweise noch immer an einem zu engen Zusammenhang von Prozessen der Modernisierung und der Säkularisierung festhält. Schließen werde ich mit einigen Bemerkungen zur Idee einer postsäkularen Weltgesellschaft. 1. Drei Bedeutungen von "säkular" Ich möchte eine analytische Unterscheidung zwischen drei verschiedenen Bedeutungen des Wortes "säkular" einführen - anders formuliert zwischen drei Weisen, auf die gesagt werden kann, man sei säkular -, denen dann drei verschiedene Interpretationen des Säkularisierungsprozesses entsprechen. 1.1 Bloße Säkularität: Leben in der säkularen Welt und in säkularen Zeiten Hier ist "säkular" in der weitest möglichen Bedeutung des Terminus gemeint, die sich von der theologischen Umbildung des lateinischen "saeculum" durch das mittelalterliche Christentum herleitet. Ursprünglich bedeutete das lateinische Wort saeculum, wie etwa in per saecula saeculorum, nur eine unbestimmte Zeitspanne. Erstmalig bei Augustinus aber bezieht sich das "Säkulare" auf einen Zeitraum zwischen der Gegenwart und der eschatologischen Parusie, zu der Christen und Heiden zusammenfinden können, um ihren gemeinsamen Interessen als einer Bürgergemeinschaft nachzugehen. So verstanden besteht eine große Ähnlichkeit des Augustinischen Gebrauchs von "säkular" mit der modernen Bedeutung einer säkularen politischen Sphäre, eines demokratischen Rechtsstaates und einer demokratischen Öffentlichkeit, die gegenüber allen Weltanschauungen, religiösen wie nichtreligiösen, neutral ist. Eine solche Konzeption identifiziert das Säkulare nicht mit dem "Profanen" als dem Anderen des "Heiligen". Auch ist das Säkulare nicht das Andere des "Religiösen". Genau genommen handelt es sich bei ihm um einen neutralen Raum, an dem alle teilhaben können, die in einer Gesellschaft leben, welche entweder religiös gesehen nicht homogen oder multikulturell ist. Gemeint sind hier also Gesellschaften, die per definitionem verschiedene und sehr wahrscheinlich miteinander konkurrierende Auffassungen dessen auszeichnen, was "heilig" und was "profan" ist. Genau das war die Lebenssituation in der Spätantike. Der jüdisch-christliche Monotheismus hatte zu einer Entsakralisierung oder Entzauberung des pagan Heiligen geführt. Dass man den Christen das Epitheton "Atheisten" verpasste, war dann nur die Folge ihrer Weigerung, den "heidnischen" Göttern zu opfern oder den göttlichen Herrscher anzubeten. Das Heilige der Christen war das Profane der Heiden und umgekehrt. Mit der Konsolidierung des westlichen mittelalterlichen Christentums und dem hegemonialen Siegeszug der christlichen Kirche wurde das Säkulare letztlich aber zu einem der Termini einer Dyade, dem Religiösen/Säkularen. Diese diente dazu, die gesamte raumzeitliche Wirklichkeit des mittelalterlichen Christentums in ein Binärsystem der Klassifizierung einzuordnen, das zwei Welten voneinander trennte: die religiöse, spirituelle und heilige Welt der Erlösung und die säkulare, zeitliche und profane Welt. Die Binärklassifizierungen heilig versus profan und religiös versus säkular wurden aufeinander projiziert und das Säkulare zur irdischen Stadt gemacht, während das Religiöse nunmehr der himmlischen Stadt glich. Dem entsprach die Unterscheidung zwischen der "religiösen" oder Ordensgeistlichkeit, die sich aus der Welt in die Klöster zurückgezogen hatte, um ein Leben christlicher Vollendung zu führen, und der "säkularen" Geistlichkeit, die in der Welt unter den Laien lebte. Aus diesem neuen theologischen Blickwinkel des mittelalterlichen Christentums heraus erwächst die moderne Bedeutung von "Säkularisierung". Säkularisieren heißt zunächst, etwas "weltlich machen", religiöse Personen oder Gegenstände in weltliche zu verwandeln - etwa wenn ein religiöser Mensch den Regeln mönchischen Lebens abschwört, um in der Welt zu leben, oder klösterliches Eigentum säkularisiert wird. Darin besteht im Mittelalter die christlich-theologische Bedeutung des Terminus "Säkularisierung", die indes als Grundmetapher für den Geschichtsprozess westlicher Säkularisierung dienen mag. Dieser Geschichtsprozess muss jedoch als eine spezielle Reaktion auf den strukturierenden Dualismus des mittelalterlichen Christentums verstanden werden, als Versuch, den Dualismus von religiöser und säkularer Welt zu überbrücken, aufzuheben oder zu transzendieren. Selbst im Westen wird dieser Prozess allerdings von zwei verschiedenen Triebkräften bewegt. Einerseits gibt es die Dynamik einer intern-christlichen Säkularisierung, die darauf zielt, das Zeitliche zu spiritualisieren und das religiöse Leben der Vollendung aus den Klöstern in die säkulare Welt zu überführen. Sie hat die Tendenz, den Dualismus dadurch zu transzendieren, dass sie die Grenzen zwischen dem Religiösen und dem Säkularen verwischt, das Religiöse säkular macht und das Säkulare religiös, indem sich beide wechselweise durchdringen. Diese Richtung wurde von den diversen christlich-mittelalterlichen Bewegungen zur Reform des saeculum eingeschlagen, sie fand ihre Radikalisierung in der protestantischen Reformation und erhielt ihren mustergültigen Ausdruck im Bereich der angelsächsisch-calvinistischen Kult...

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Normative Orders

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